Ich sitze im Zug von Göttingen nach Hannover. Ein intensiver, ein aufregender Tag liegt hinter mir. Ich durfte das erste Mal als Clown Jule in eine Kinderklinik gehen. Es ist ein Geschenk, die Möglichkeit bekommen zu haben, direkt als Clown den Alltag einer echten Klinikclownin zu erfahren. Es war ein Sprung ins kalte Wasser für mich, ein Sprung, der sich definitiv gelohnt hat!
Bei der Anreise habe ich mir viele Gedanken gemacht, was wohl die Krankengeschichten und Schicksale der Menschenkinder, denen ich begegnen würde, mit mir machen werden. Wie würde Jule sie wahrnehmen und damit umgehen? Denn es ist so: Jule reagiert grundsätzlich anders, als ich es in Situationen tun würde. Sobald das Kostüm angezogen ist und die Nase als Abschlusspunkt der Verwandlung aufgesetzt wird, sieht Anika die Welt mit den Augen von Jule – eine Welt, die sie nicht zu kennen scheint und die von ihr entdeckt werden möchte, alles ist so unglaublich spannend!
Wie gut, dass die Rollen für die Hospitation ganz klar geklärt wurden „Anika, als Jule bist Du meine Auszubildende und darfst meinen Koffer tragen!“ erklärt Sabine mir die Rahmenhandlung. Diese Anweisung gibt mir als Spielerin sehr viel Sicherheit – ich weiß, was zu tun ist. Jule ist natürlich sehr gerne Auszubildende (war sie ja auch noch nie in einer Kinderklinik) und natürlich trägt sie auch sehr gerne den Koffer von Siba!
Bei meiner Ankunft im Krankenhaus, das Gebäude ist einfach riesig, spüre ich eine ordentliche Portion Respekt vor meinem heutigen Auftritt als Jule. Kaum ein Jahr in meiner Clownausbildung und schon die Jule gefunden und mit ihr im echten Leben unterwegs.
Da Timm erst zu einem späteren Termin hospitieren wird, bin ich heute alleine unterwegs. Wie gut das Kommunikationsmöglichkeiten gegeben sind – ich teile meine ersten Eindrücke mit Timm „Angekommen! Laufe gerade (noch zivil) im Klinikum rum, um die Energie zu spüren. Eine krasse Energie – ganz schön drückend…“ „Juhu! Komm langsam an .. nicht das es dich erdrückt. Hast du noch Zeit bevor es los geht?“ „Ja…“ „Puh, das ist gut.“ – wie gut so ein kurzer Austausch einfach tut.
Dann ist es soweit, bis auf die Nase bin ich umgezogen und treffe mich mit Siba. Sabine ist schon in ihrer Clownrolle und hat auf dem Weg vom Parkplatz zum Infopoint in der Kinderklinik bereits die Menschen begrüßt! Dann wird es jetzt auch Zeit für mich, Jule zu werden. Ein tiefer Atemzug, die Nase aufgesetzt und mit großen Augen und Entdeckerfreude steht jetzt Jule am Infopoint. Es kann losgehen! Ich bin Jule die Auszubildende und ich trage einen Koffer!
Was Siba und Jule alles erleben, ist nur in Ansätzen wiederzugeben. Da sind Wartebereiche, in denen Jule sich zu den Patientinnen und Patienten setzt, während Siba ein Pläuschchen mit den Angestellten hält. Jule findet warten langweilig, die anderen Menschen auch – so ist es nun mal als Auszubildende, es wird gemacht was die Chefin sagt: Warten! Dann wird halt bequem gewartet, der Koffer wird zur Fußablage und diese natürlich mit anderen wartenden Patientinnen und Patienten geteilt. So macht Warten dann doch Spaß!
In den Stationen werden wir schon erwartet, es gibt kurze Absprachen, welche Zimmer heute besucht werden können. Allerdings sind ja überall Menschen! Da flitzen Kinder über die Flure, Eltern begleiten Jugendliche zur nächsten Behandlung. Überall fleißige Menschen, die den Krankenhausaufenthalt für die Heranwachsenden so unbeschwert wie möglich gestalten wollen.
Dieser Dienstag wird zum Glitzer-Dienstag! Es werden großzügig glitzernde Herzsticker auf T-Shirts, Pullover und Kittel geklebt – sie scheinen eine besondere Magie in sich zu haben, die Menschen lächeln immer, wenn sie ein solches Geschenk bekommen. Das freut Jule natürlich sehr! Besonders freut Jule sich über eine junge Ärztin, die den Sticker freudestrahlend entgegen nimmt „Wie schön, an meinem ersten Tag als Ärztin, werde ich von den Clowns begrüßt!“
Was Siba alles aus ihrem kleinen Koffer zaubern kann. Jule staunt immer wieder auf´s Neue. Sie möchte so gerne diese tollen Zaubertricks verstehen. Sie passt richtig gut auf und bekommt es doch nicht hin. Zum Glück können die Kinder und Jugendlichen zaubern! Ganz am Ende der Besuchszeit ist es dann soweit: Jetzt muss Jule alleine zaubern! Während Siba noch in einem Zimmer ist, wird Jule selbstbewusst von einem Kind in ein anderes Zimmer eingeladen – Jule kann natürlich nur „Ja“ sagen. Für den Notfall hat Jule einen kleinen Zahlenkartenzaubertrick in der Tasche, der auf seine Premiere wartet. Jetzt zaubert Jule, ganz konzentriert, denn natürlich hat sie den Kindern im Zimmer erklärt, dass sie noch in der Ausbildung ist. Doppelt gespannt wird der Zaubertrick durchgeführt – große Augen bei Jule und den Kindern als der Zaubertrick klappt! Premiere geglückt!
Zurück am Infopoint – die Besuchszeit von 3 Stunden ist vorbei. Ui, ui, ui… als ich Jule ihre Nase absetze muss ich erstmal ungläubig den Kopf schütteln. Was für intensive drei Stunden. Jule hat so viel erlebt, da muss ich jetzt erst einmal hinterher kommen und Gedanken sortieren. Wie gut, dass es noch eine Rückfahrt im Zug gibt!
Es war einfach großartig zu sehen, wie ein Koffer mit Möglichkeiten das passende für jede Situation bereithält. Es macht so Sinn, erfahrenen Clowns in der Praxis über die Schulter zu schauen und dabei Ideen zu sammeln, welche Möglichkeiten in Form von Material, Requisiten und kleinen Geschenken am besten in den eigenen Koffer der Möglichkeiten passen. Danke, Siba!
Da ist die Bedeutsamkeit alle Menschen im Klinikum zu sehen – jeder hat Leichtigkeit und Freude genau an diesem Tag verdient. Und wie wundervoll ist es, rein zufällig einer jungen Ärztin an ihrem ersten Tag ein Glitzerherz schenken zu dürfen. Dieser Augenblick berührt mich als Anika noch jetzt. Augenblicke die entstehen und einem im Herzen bleiben!
Ja, und was machen die Krankengeschichten und Schicksale der Menschenkinder, denen ich heute begegnen durfte, mit mir? Diese Frage hatte ich mir heute Morgen ja gestellt… Da ist zuerst eine tiefe Dankbarkeit – eine Dankbarkeit dafür, dass sie in einem für sie so verletzlichen Moment ihres Lebens meine Jule haben bei sich sein lassen. Da ist eine Verzauberung und ein Staunen, weil der Humor und die Heiterkeit es schaffen, Lächeln und Lachen in einem Raum zu erzeugen, in dem die Stimmung doch eher drückend ist. Die Kraft, die mein Clown Jule hat, diese Stimmung zum einen zu erkennen und diese dann auch durch ihr Sein zu wandeln, die habe ich heute kennengelernt. Ich habe die Menschen gesehen und ich habe diese Stimmung gefühlt – die konkreten Krankengeschichten und Schicksale waren zweitrangig – es ging darum einen Moment der Leichtigkeit und Freude zu schaffen und diesen gemeinsam zu teilen! Wenn jetzt nicht nur ein Lächeln bei mir im Gesicht ist, bei der Erinnerung an den heutigen Glitzer-Dienstag in Göttingen, dann ist das doch einfach wunderschön!

