Sonntagnachmittag. Die Septembersonne scheint mit aller Kraft durch die spärlichen Wolken. Ein perfekter Tag für einen Ausflug ins Grüne! Von der Straße biege ich ab und fahre ein Stück auf einem Schotterweg entlang. Neben mir ein Feld mit übergroßen Maispflanzen. Ich halte an. Zu Fuß tauche ich plötzlich in einen Ort ein, der mich ein kleines bisschen verzaubert. Ich sehe und spüre einen Ort voller Freude und Wertschätzung. Ich glaube, aus meinem Mund kommt ein leises „Wow!“.
Neben einem roten Bauwagen, auf den Peter Lustig neidisch gewesen wäre, stehen unter einer kleinen Eiche Tische mit Tischdecken. Davor Stühle und Bänke mit Menschen – in Essen, Kaffee, Geschichten und Erzählungen versunken. Wimpelketten aus Stoff hängen zwischen Bauwagen, Baum und Gewächshaus und wehen im leichten Wind. Ich folge einer Einladung und besuche das Erntefest der SoLaWi in Werne. Oskar hat dort gleich noch einen Auftritt.
Während ich einen Kaffee trinke, beobachte ich die Menschen, die Bäume, die Umgebung. Ich stelle mir vor wie Oskar durch die Gewächshäuser, durch Äcker und Wiesen streift und alles ehrfürchtig bestaunt, als würde er es zum ersten Mal sehen. Eine kleine Tomate wie den größten Schatz auf Erden bestaunen und den Geschmack in all der Vielfalt genießen. Ich sehe, wie meine Figur Oskar in der Realität eintaucht und mit ihr verschmilzt. Ich sehe, wie Oskar aus seinem Bauwagen mit der Sonne um die Wette strahlend auf die Äcker voller Gemüse und Obst schaut. Aber vielleicht bin ich es auch, der dort aus dem Bauwagen schaut? Vielleicht bin ich es, der alles ehrfürchtig staunend durchstreift? Ich freue mich über diesen schönen Tagtraum – ich freue mich hier zu sein.
Ich beginne mich auf meinen Auftritt vorzubereiten und ziehe mich etwas zurück. In einem kleinen Lagerraum, den ich zu einem Bahnhof umwidme, erfolgt die Verwandlung: aus Timm wird Oskar. Neben mir stapeln sich die geernteten Kürbisse. Was für ein verrückt schöner Ort, um in meine Figur einzutauchen.
Die Tür des Lagerraums fliegt auf und Oskar tritt heraus. Mit Koffer, Schirm und Karte in der Hand steht er in der Mitte des Platzes. Kein Plan, was als nächstes passiert. Die ersten Menschen sehen den neuen Besucher und erkennen die rote Nase. Der Regenschirm wird zum Sonnenschirm und spendet Schatten. Die ersten Kinder umringen Oskar und fordern zu einem kleinen Wettkampf auf. Oskar reißt den Mund ganz weit auf und erzählt etwas von Flick-Flack-Überschlag. Na klar kann er den! Aber er scheitert dann doch schon am Radschlagen. Da hat Oskar wohl verloren. Aber jetzt kommt dann doch seine große Stunde bei der Revanche: Hutjonglage. Ja, das kann er wirklich! Alle beschließen gemeinschaftlich das Unentschieden.
Jemand hält Oskar ein Bund mit Blättern entgegen. „Riech mal!“ Oskar versucht alles wegzuriechen und saugt mit großen Zügen die feinen Gerüche ein. „Oh, das riecht nach Zitrone!“ Bevor Oskar überhaupt etwas sagen kann, schallt „Zitronenbasilikum!“ durch die kleine Gruppe. Oskar verliert sich noch mehr im Riechen, sodass ihm fast schwindelig wird. Kurz Luft geholt, es gibt Neues zu entdecken.
Oskar kontrolliert dann auch schnell die korrekte Bedienung der Saftpresse und den Zuschnitt der Äpfel und ist natürlich nicht um einen schlauen Kommentar verlegen wie es die Erwachsenen besser machen können. Aber irgendwie klappt das dann doch nicht. Bevor Oskar in Erklärungsnot gerät, schnell im Gewächshaus hinter den Tomatenpflanzen verstecken. Aber die Kinder sind ihm ganz schnell auf die Schliche gekommen. Oskar wird aus dem Versteck abgeführt.
Ein paar Seifenblasen und Zaubertricks später verheddert sich Oskars Schirm fast in der Wimpelkette. Zum Glück sind am Tisch ein paar aufmerksame Menschen, die Oskar vor dem Schlimmsten bewahren. Mit einem Eis in der Hand setzt sich Oskar in die Gruppe. Auf die blauen Augen angesprochen erklärt Oskar, dass Clowns zusätzlich auch ganz viele Schönheitsoperationen machen müssen, gerade im Bereich der Nase. Als Clown geht alles Schlag auf Schlag. Das Eis fast aufgegessen, gibt es schon wieder etwas Spannendes zu entdecken. Auf Entdeckungstour klettert Oskar auf eine wackelige Bank und luschert durch ein Fenster in den Bauwagen.
Oskar hat vor lauter Lachen, Toben, Verstecken, Zaubern und Reden komplett die Zeit vergessen. Es wird wirklich Zeit Koffer und Schirm in die Hand zu nehmen und Richtung Bahnhof zu gehen. Schließlich ist Oskar ein reisender Clown. Der Bahnhof ist mit Lagerraum falsch beschriftet worden, aber Oskar läuft trotzdem zielsicher dorthin. Denn dort fährt der Zug wirklich ab. Oskar schließt die Tür, bestaunt die Kürbisse im Lager und dann wird aus Oskar wieder Timm.
Wieder ohne Kostüm genieße ich die Abendstimmung. Einzelne Menschen sind noch da und ich sauge mit allen Sinnen diesen schönen Ort auf. Ich sehe die Schönheit und die ganzen Anstrengungen, die Arbeit und so, so viel Herzblut für die Idee, für die diese SoLaWi steht.
Ich bin unheimlich dankbar, hier gewesen zu sein. Mein Lohn war übrigens eine Gemüsekiste, frisch geerntet. Mein Gott, was schmeckt das gut! Mit dem Wissen, dass ich selbst und andere dafür hart gearbeitet haben, kann ich jede Tomate, jedes Salatblatt so viel mehr wertschätzen. Und es schmeckt alles tausendmal so gut.
Ich verlasse die SoLaWi mit dem Wunsch, dass jeder Mensch diese Wertschätzung für Lebensmittel erfährt und mit sich tragen könnte. So wie ein Clown die kleinen unscheinbaren Dinge bestaunt und nicht für selbstverständlich nimmt.

